Veröffentlichungen

Gedenkveranstaltung der besonderen Art: Der Fall Oppenheimer

Nach der Lesung nutzten viele Besucher die Gelegenheit, ihr Buchexemplar von Raquel Erdtmann (Mitte) signieren zu lassen und mit ihr ins Gespräch zu kommen. Bürgermeisterin Dr. Isabell Tammer und Uwe Müller, der erste Vorsitzende des Freundeskreises Burg und Stadt Münzenberg, freuten sich, eine derart hochkarätige Autorin in Münzenberg begrüßen zu dürfen. Zugleich mahnten sie, angesichts des wachsenden Antisemitismus heute wachsam zu sein. Beide waren sich einig, dass die Veranstaltung im Kulturhaus Alte Synagoge die Bedeutung der Aufarbeitung historischer Justizverfehlungen für das Verständnis gegenwärtiger gesellschaftlicher Herausforderungen eindrucksvoll darstellte.

Bei Konzepten für Gedenkveranstaltungen anlässlich der Reichspogromnacht gehen der Freundeskreis Burg und Stadt Münzenberg und die Stadt Münzenberg neue Wege. Erinnerungskultur konkret und anschaulich statt ewig sich wiederholender Worthülsen offizieller Reden heißt die Devise.

Den Anfang machte im vergangenen Jahr Ricardo L. Laubinger, der Vorsitzende der Sinti-Union Hessen. Er lud die Gäste ein, an seiner Familiengeschichte teilzuhaben und so im Vergleich zur eigenen Familienhistorie die Erkenntnis mit in den Alltag zu nehmen, dass sich Rassismus und gesellschaftliche Ausgrenzung nicht wiederholen dürfen. Gerichtsreporterin Raquel Erdtmann bot nun im Kulturhaus Alte Synagoge den Besuchern tiefgreifende Einblicke in die deutsch-jüdische Vergangenheit des 18. Jahrhunderts. Übrigens genau an dem Tag, an dem im Jahr 1938 die Münzenberger Synagoge in weiten Teilen zerstört wurde.

Die Autorin, bekannt für ihre Tätigkeit als Gerichtsreporterin für Zeitungen wie FAZ und Die Zeit, präsentierte ihre akribische historische Recherche zum Fall Joseph Süßkind Oppenheimer. In ihrem Buch „Joseph Süßkind Oppenheimer. Ein Justizmord“schildert sie eindringlich den Schauprozess gegen Oppenheimer, der nach dem plötzlichen Tod des württembergischen Regenten Carl Alexander 1737 unter der Anklage des Landesverrats verhaftet wurde.

Auf Grundlage der Prozessakten und anderer zeitgenössischer Quellen berichtet sie über die historische Person Joseph Oppenheimer, lange bevor er als „Jud Süß“ zur literarischen Figur bei Wilhelm Hauff und Lion Feuchtwanger und schließlich zum „Sittenstrolch nach dem Geschmack der Antisemiten“ im nationalsozialistischen Propagandafilm von Veit Harlan wurde. Raquel Erdtmanns Darstellung des Falles enthüllt die Ungerechtigkeit und den offenen Antisemitismus in Staat und Gesellschaft, die zu Oppenheimers Verurteilung und Hinrichtung führten.

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