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Gerichtsreporterin Raquel Erdtmann rollt Justizmord neu auf

Fast 20.000 Zuschauer nahmen am 04. Februar 1738 an der Hinrichtung des ehemaligen Finanzrats des Herzogs von Württemberg, Joseph Süßkind Oppenheimer, teil. Auf dem Galgenberg bei Stuttgart herrschen volksfestfähnliche Zustände. Autorin und Gerichtsreporterin Raquel Erdtmann hat diesen Justizmord neu aufgerollt. Auf Grundlage der Prozessakten und anderer zeitgenössischer Quellen berichtet sie über die historische Person Joseph Oppenheimer, lange bevor er als „Jud Süß“ zur literarischen Figur bei Wilhelm Hauff und Lion Feuchtwanger und schließlich zum „Sittenstrolch nach dem Geschmack der Antisemiten“ im nationalsozialistischen Propagandafilm von Veit Harlan wurde.
Der Freundeskreis Burg und Stadt Münzenberg und die Stadt Münzenberg laden gemeinsam zu einer spannenden Lesung mit Raquel Erdtmann ein. Die Veranstaltung findet am 10. November 2024 um 18:00 Uhr im Kulturhaus Alte Synagoge Münzenberg, Junkernhof 14, statt. Übrigens genau an dem Tag, an dem im Jahr 1938 die Münzenberger Synagoge in weiten Teilen zerstört wurde. Einlass ist ab 17:15 Uhr. Der Eintritt ist frei.
Nur wenige Stunden nachdem der württembergische Regent Carl Alexander 1737 ganz plötzlich verstirbt, wird sein Geheimer Finanzrat Joseph Süßkind Oppenheimer verhaftet. Die Anklage: Landesverrat. Die Behörden haben Mühe, Belege für Vergehen zu finden, der Prozess zieht sich elf Monate in die Länge, endet aber unumstößlich mit dem Todesurteil. Schon zu Beginn des Prozesses ist die Versteigerung von Oppenheimers Hausrat in vollem Gange: Die besten Schmuckstücke sichert sich der Staat, die schönsten Kleider seiner Geliebten Luciana bringen die ehrbaren Stuttgarter Damen an sich. Aus dem stolzen, selbstbewussten Mann, der an ein rechtsstaatliches Verfahren glaubt, wird in der Haft zunehmend ein Getriebener, der verzweifelt um sein Leben kämpft. Raquel Erdtmann hat für ihre historische Spurensuche acht Meter Archivbestand akribisch durchgesehen und nimmt uns mit in die deutsch-jüdische Vergangenheit. Sie erzählt die Geschichte des Schauprozesses um Joseph Süßkind Oppenheimer so spannend und berührend, dass einem der Atem stockt. Sie erzählt aber auch, wer der Mensch Joseph Oppenheimer war, bevor er zur literarischen Figur bei Lion Feuchtwanger und zum propagandistischen Feindbild der Nazis wurde. Und wie nebenbei leuchtet sie kenntnisreich das Leben der deutschen Jüdinnen und Juden im 18. Jahrhundert aus.

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